Die Faszination des Unbekannten (Teil 2)

Nachdem wir - wieder gesund und gewärmt - bei Nymka in der Süd-Gobi ankamen, bezogen wir dort unsere eigene Jurte. Im Umkreis von 10 Kilometern unseres neuen Zuhauses ist keine Menschenseele -  nur ein kleiner See an dem sich tagsüber Kamele, Ziegen, Schafe und Pferde treffen. Wir blicken auf die etwa 25 Kilometer entfernten High Mountains „Gurvan Saikhan“, die morgens, nach einer kalten Nacht, mit Schnee bedeckt sind. 

In den Gurvan Saikhan Bergen gibt es eine Schlucht namens „Yolyn Am“, die Geierschlucht. Ursprünglich wurde sie genutzt, um das Vogelleben der Region zu erhalten. Heute ist die Schlucht für die dramatischen Klippen und Berge bekannt. Gemeinsam mit Nmyka unternahmen wir einen Tagesausflug und fuhren zum östlichen Teil der Bergkette. Dort wanderten wir durch die Berge und genoßen den landschaftlichen Kontrast zur Steppe. Patrick und Rosa bauten einen Staudamm an einem kleinen Bach und wir machten ein Picknick, während Nymka im Auto schlief. Auch wenn die Gurvan Saikhan Berge nur wenige Kilometer von unserer Jurte entfernt sind, muss man in der Mongolei lange Fahrtzeiten einrechnen. Die Straßenverhältnisse sind katastrophal. Ein Großteil aller mongolischen Straßen ist nicht asphaltiert und führt mitten durch unwegsames, steiniges und mit tiefen Schlaglöchern versehenes Gelände. Für 100 Kilometer kann man gut und gern 3 Stunden einrechnen. Leider verschätzte sich Nymka häufig bei der Planung unserer Fahrten, so dass aus einem geplanten 3-4 Stunden-Trip nicht selten ein 10-13 Stunden-Trip wurde. Rosa meisterte die Fahrten super. Sie versank mit dem Blick, wie wir, in der Weite der Natur oder spielte mit anderen Kindern, die wir mit auf Ausflüge nahmen. 

Der beeindruckendsten Ausflug war die Tour zu den Khongor Sanddünen, die auf einmal wie aus dem Nichts auftauchen. Direkt zwischen Steppe und einem schmalen Tal in den Gobi-Altai-Bergen gelegen, befinden sich die 80 Kilometer langen singenden Sanddünen. Die größte bis zu 300 Meter hoch und in der Breite maximal 5 Kilometer. Marco Polo berichtete aus der Gobi von bösen Wüstengeistern, die „manchmal die Luft mit den Klängen der verschiedensten Musikinstrumente füllten, manchmal aber auch mit Trommeln oder Waffenlärm“. Er beschrieb die singenden Sanddünen, die durch abrutschenden Sand tiefe und laute Töne erzeugen, die teilweise über mehr als zehn Kilometer hörbar sind und bis zu 15 Minuten anhalten können. Die Dünen werden umgrenzt von dem Chongoriin Gol Fluss - dieser bildet eine Oase inmitten der trockenen Landschaft. Seine Quelle liegt unter der Erde.

An den Khongor Sanddünen wohnten wir in einem Touristen Camp und nicht bei Nomaden. Diese Abwechslung tat sehr gut, zumal wir dort auch Tschingun, sowie seine Freunde und Familie trafen. Tschingun organisierte unsere Reise durch die Mongolei und ohne ihn wären wir ab und an etwas hilflos gewesen. Nach einer Übernachtung fuhren wir morgens, mit einigen Kindern aus dem Camp, an die Dünen. Die Kinder blieben an den kleinen Dünen und rutschten den Sand rauf und runter. Patrick, Nymka und ich bestiegen die größte Düne. Es dauerte eine Ewigkeit und war unfassbar anstrengend, aber oben angekommen wartete ein faszinierender Blick auf uns. Es fällt mir schwer in Worte zu fassen, wie schön dieser Moment auf der Düne war. Für uns war es sicherlich der schönste Ort an dem wir bisher waren. Und diesen Moment mussten wir mit niemandem teilen - es gab außer uns keinen anderen Menschen. Wir genossen die Ruhe, die Weite und die Natur. 

Nachmittags hatten wir das Glück auf Kamelen durch die Steppe zu reiten - immer mit Blick auf die singenden Sanddünen. Die Nomaden nutzen die Kamele um in Karawanen von Ort zu Ort zu ziehen. Ein Kamel kann bis zu 300 Kilo tragen und seine Höcker dienen als Wasservorrat um lange Strecken in der Wüste zurückzulegen. Ein Ritt auf dem Kamel, in etwa zwei Metern Höhe, ist unbequemer als man es sich vorstellt. So reicht ein Ausritt von einer Stunde, um noch zwei Tage später Schmerzen im Hintern zu haben. 

Auf dem Heimweg fuhren wir noch zu den roten Sandklippen „Bayan Zag“, auch bekannt als „Flaming Cliffs“ und in der Übersetzung bedeutend „sexuell reich“. Dieser Ort erklärt die mongolische Landschaft sehr gut, denn die Steine stammen aus der Zeit der späten Oberkreide und sind etwa 75 Millionen Jahre alt. Wenn man sich dort etwas Zeit nimmt und die Steine von links nach rechts dreht, kann man Dinosaurierknochen finden. Nach einem intensiven Regen können auch Dinosauriereier frei gespült werden. 

Die letzten Tage in unserer Jurte waren wirklich sehr schön. Nymka zeigte uns sein tägliches Nomaden-Leben und wir arbeiteten mit ihm. Wir melkten eine Kamel-Stute und eine Pferde-Stute, malten den Kamelen ein Symbol auf den Rücken, so dass Nymka seine Herde immer erkennt und sammelten Dung zum Heizen. Außerdem durfe Rosa den heimischen Kindergarten besuchen. Die meisten Kindern hatten bisher noch nie ein europäisches Kind gesehen - so war Rosa eine Attraktion für Kinder und Erzieher. Rosa hat sich sofort in die Gruppe integriert, mitgesungen und getanzt. Nicht nur im Kindergarten wurden wir sehr herzlich aufgenommen sondern auch in Nymkas Familie. An unserem letzten Abend in der Jurte haben uns die Kinder traditionelle mongolische Lieder vorgesungen, Nymkas Bruder hat sie mit der Moring Chuur begleitet. 

In den letzten zwei Wochen sind wir in das echte Nomaden-Leben eingetaucht und haben dabei auf ursprünglichste Weise das Leben mit vielen Lebensgewohnheiten, Sitten und Bräuchen kennengelernt. Vieles hat uns fasziniert, manches hat sich von Skepsis in Faszination gedreht und manches betrachten wir weiterhin mit Skepsis. 

So ist die Rolle der Frau sicher eine, die wir nicht nur mit Skepsis betrachten. Ihre Aufgabe besteht darin, für das leibliche Wohl aller, vor allem des Mannes, zu sorgen. Aufgaben sind streng unterteilt, in die für Männer und die für Frauen. Der Mann, und auch andere männliche Gäste, bekommen immer vor der Frau Essen und Trinken. Einiges lässt sich sicherlich aus der Tradition erklären - beispielsweise weil der Mann bei Wind und Wetter draußen das Vieh hütet und körplich anstrengend arbeitet. Einiges lässt sich aber auch nicht erklären. Oft wurde ich in Gesprächen außen vor gelassen, gar fast ignoriert. Die Organisation der Reise durch die Mongolei oblag nun Patrick - Entscheidungen traute man mir nicht zu. Es dauerte fast zwei Wochen, bis ich mich auch in „männlichen Aufgaben“ wie dem Vieh-Treiben beweisen durfte. Aber wenn Patrick sich um Rosa kümmerte, konnte sich auch nach zwei Wochen keiner daran gewöhnen.

Es gibt aber auch viele Sitten und Bräuche, die zeigen wie entspannt und harmonisch mongolische Nomaden leben. Und die uns, in einem Leben nach „deutscher“ Ordnung, faszinieren: 
  • Die Teekanne ist immer nach Norden auszurichten. 
  • Die Tür der Jurte immer gen Süden. 
  • Das Fleisch sollte vollständig vom Knochen abgenagt werden - ansonsten erscheint man undankbar und herablassend.
  • Angebotenes Essen und Trinken sollte man nie ablehnen, es ist äußerst unhöflich. 
  • Zu Besuch bei einer Familie bekommt man immer Airak (gegorene Stutenmilch) angeboten. Die Mongolen sind süchtig danach, eine Ablehnung würden sie niemals verstehen.
  • Männer tauschen zur Begrüßung ihre Schnupftabakdosen und nehmen ein Näschen.
  • Die traditionelle Musik hat einen großen Stellenwert innerhalb des Jurten-Lebens. Und so kann fast jeder einen mongolischen Long Song singen.
  • Das erste was der Mann am Tag macht, ist nach dem Vieh zu schauen. Das letzte was er am Tag, nach getaner Arbeit macht, den Airak umrühren. Mit bis zu 1000 Schlägen. 
Bei all der Tradition ist uns auch aufgefallen, dass das Nomaden-Leben moderner geworden ist. An fast jeder Jurte hängen Solarzellen, Gefriertruhen werden damit betrieben. Aber auch Fernseher und künstliches Licht. Das Vieh wird nicht mehr mit dem Pferd gehütete und angetrieben, sondern mit Motorrädern und Autos. Ziegen werden gegen Bargeld getauscht um SUVs zu kaufen und der Nachbar wird via Smartphone angerufen und um landschaftliche Hilfe gebeten. 

Am meisten fasziniert hat uns die Natur. Sie hat uns in den Bann gezogen und uns für den Moment geerdet. Es ist beeindruckend, wie die Mongolen alle Ressourcen zum Leben aus der Natur nehmen. Sei es der Dung zum Heizen oder die Milch der Ziege, aus der fast alle Nahrungsmittel hergestellt werden.  

Dieses einfache Leben funktioniert nur in der Gemeinschaft. Auf engstem Raum, als Großfamilie, kann man sich nur organisieren, wenn alle helfen. Auch die kleinsten und jüngsten Familienmitglieder. Unbewusst hat auch Rosa das Gemeinschaftsprinzip schnell verstanden und eigenständig den „Tisch“ (gegessen wird auf dem Boden) gedeckt, Müll zum Eimer gebracht und Essen an alle verteilt. 

Nun sind wir wieder zurück im hektischen und schmutzigen Ulan Bator - übrigens nach einer Autopanne in der Wüste. Eine Stadt die so konträr zum ländlichen Leben und den letzten zwei Wochen ist. Kohlekraftwerke verpesten die Luft und der Blick reicht nur bis zum nächsten Apartmentkomplex. Aber wir freuen uns auch auf den kleinen Luxus: Stühle mit Rückenlehne, Betten mit Matratze und eine Dusche. Die Toilette mit 300.000 qm Sicht werden wir aber wohl vermissen. Irgendwie auch wahrer Luxus.

So war unsere Reise durch die Mongolei. Fast 3000 Kilometer haben wir zurück gelegt und sind dabei an unsere körperlichen Grenzen gelangt. Wir haben Kamel, Ziege, Pferd und Murmeltier gegessen. Stuten-, Kamel- und Ziegenmilch getrunken. Die Mongolei war das alles wert. Nun geht es nach Südkorea. 

Wer gern eine ähnliche Reise unternehmen möchte, kann sich mit Tschingun in Verbindung setzen. Informationen sind unter ziegeundkamel.de zu finden. 

Unsere eigene Jurte 

Ein Blick in die Jurte 

Stutenmilch "Airak"

Patrick beim Heizen

In den Gurvan Saikhan Bergen 

Patrick und Rosa bauen einen Staudamm in den Gurvan Saikhan Bergen 

Unser zuverlässigstes Auto 

Ein Bus als öffentliches Verkehrsmittel

Rosa auf einer unserer langen Autofahrten 

Rosa und ihr Freund Boaina 

Eine Kamel Herde am See 

Eine riesige Ziegen Herde 

Khongor Sanddünen 

Khongor Sanddünen 

Unfassbare Weite - ein Blick von oben 

Rosa spielt im warmen Sand 

Khongor Sanddünen 

Kamelritt durch die Steppe 

Patrick auf einem Felsen in Bayan Zag 


Stuten werden gemelkt 

Stuten werden gemelkt 

Kamel Herde mit dem Auto treiben 

Kurz vor dem Melken 

Kurz vor dem Melken der Kamel Herde 

Sarah beim Melken 

Kamel Milch 

Die Kamele werden angemalt 

Rosa beim Treiben der Kamele 

Patrick beim Dung sammeln

Eine Musikschule zur Förderung der Kinder in traditioneller mongolischer Musik 

Ein sehr begabter Schüler 

Rosa im Kindergarten 

Kurz vorm Sport müssen die Kinder stillstehen 

Gemeinsames Malen 

Nymka und seine herzliche Familie 

Auf Wiedersehen Mongolei! Ein Blick auf das versmogte Ulan Bator 

Kommentare

  1. Das war ja eine sogenannte Überschneidung, hatte gerade den Kommentar für TEIL 1 abgegeben und schwups
    erschien TEIL 2. Ich habe es Marion vorgelesen, ihr könnt euch nicht vorstellen wie begeistert wir es verschlungen haben. Das ist wirklich eine sehr beeindruckende Schilderung. Da habt ihr wirklich was erlebt, das ihr nie vergessen werdet und um das wir euch beneiden. Wenn wir auch nicht unbedingt die ganzen geschilderten Umstände unbedingt nachvollziehen möchten. Es ist eine Freude zu hören wie klein Rosa das alles mit macht.und wegsteckt.
    Wir werden euch weiter in euerem Blog begleiten und wünschen euch eine gute Reise nach Südkorea zurück in die Zivilisation. Euere Freund Marion und Bernd

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  2. P.S. Habe ganz vergessen die sehr schönen Bilder zu erwähnen, die das ganze noch ganz toll abrunden.
    Ich bin im schreiben leider nicht so geübt wie Sarah, in meinem Text oben 2x "unbedingt" und Freund
    statt Freunde, sorry. Das war es für heute !!

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    1. Lieber Bernd, liebe Marion,
      Vielen vielen Dank für die schönen Worte! Bernd, dein Schreibstil ist super! Dein Beitrag hat uns sehr gerührt! Danke! Wir vermissen euch sehr!

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